Über dreihundert wollten Hebamme werden
Neue Hebammenschule an der Universitätsfrauenklinik Gießen nimmt am Freitag mit 15 Schülerinnen den Unterrichtsbetrieb auf
Gießen (if). 3120 Kinder hat Dorothee Heidorn aus Büdingen bisher ins leben verholfen. Mit dem 3121. »Kind« der 35jährigen tüchtigen jungen Frau hat es indes eine ganz besondere Bewandtnis: Mit fünfzehn Schülerinnen beginnt am kommenden Freitag, 1. Oktober, die neu eingerichtete Hebammenlehranstalt an der Frauenklinik der Justus-Liebig-Universität Gießen ihren Schulbetrieb. Die zweite Hebammenschule des Landes Hessen nach Marburg steht unter Leitung des Direktors der Universitätsfrauenklinik, Professor Dr. Wolfgang Künzel. Dorothee Heidorn, verheiratet, ein Sohn, wirkt als Leitende Lehrhebamme.
Frau Heidorn, im schwäbischen Aalen geboren, Ausbildung zunächst als Kinderkrankenschwester, danach als Hebamme in Freiburg, zwölfjährige Berufspraxis inklusive Studium an der Deutschen Zentrale für Volksgesundheitspflege, kam Mitte Juli nach Gießen, um die erforderlichen Vorbereitungen für die Aufnahme des Schulbetriebs zu treffen. Im Endausbau soll die Schule 60 Schülerinnen umfassen. Die Nachfrage um Aufnahme in den ersten Kurs, der im Frühjahr kommenden Jahres noch um fünf Schülerinnen mit Schwestern-Examina aufgestockt werden soll, war enorm. Über dreihundert junge Frauen bewarben sich. Und noch heute läutet immer wieder das Telefon bei Dorothee Heidorn: Bewerberinnen, die sich zur Hebamme berufen fühlen.
Die Ausbildung zur Hebamme dauert drei Jahre. Wer eine abgeschlossene Krankenpflege- oder Kinderkrankenpflegeausbildung mitbringt, für den verkürzt sie sich um höchstens zwölf Monate. Sie umfaßt mindestens 1600 theoretische Stunden und 3000 Stunden praktischen Unterricht. Dabei erfolgt die theoretische Ausbildung in Form von Blockunterricht, während die praktische Ausbildung auf den Stationen des Klinikums durchgeführt wird.
Die Erweiterung des schulischen Angebots nichtärztlicher Heilberufe am Klinikum der Gießener Universität um eine Hebammenschule ist maßgeblich der Initiative von Prof. Künzel und Dekan Prof. Dr. Ringleb zu verdanken. Die Weichen dafür waren gestellt worden, nachdem die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes, Frau Hipp (Freiburg), bei der Hebammen-Jahrestagung 1981 energisch die Forderung nach mehr Lehranstalten erhoben hatte. Insgesamt verfügt die Bundesrepublik Deutschland über 27 Ausbildungsstätten, die jedoch für den benötigten Hebammen-Nachwuchs nicht ausreichen.
Bei ihren Bemühungen um kompetente Dozenten fand die Lehrhebamme Unterstützung bei den Wissenschaftlern und klinikern der Univeersität, wie sie kurz vor dem »Start« dankbar vermerkt. Mit Schwester Ilse, der Leitenden Hebamme der Klinik, hat sich eine ausgezeichnete Zusammenarbeit ergeben. Der Unterricht erfolgt im obersten Geschoß der Frauenklinik, wo ein Seminar- und ein Übungsraum zur Verfügung stehen. Die Schülerinnen, die eine Vergütung erhalten, müssen für ihre eigene Unterbringung sorgen. Voraussetzung für den Zugang zur Ausbildung ist die Vollendung des 17. Lebensjahres, eine gute Allgemeinbildung, wobei auf gute Deutschkenntnisse in Wort und Schrift besonderer Wert gelegt wird.
Sorgen um ihre spätere Berufslaufbahn brauchen sich Hebammen übrigens nicht zu machen. Schwester Ilse: »Im Hebammenblatt stehen bis zu achtzig Stellenangeboten meist nur fünf bis sechs Stellengesuche gegenüber.«
Giessener Allgemeine, 1982