"Wenn Wehen einsetzen muß man nur klingeln"
Entbindungsheim "Borngarten" ist eröffnet
Gießen (cai). "Jetzt müßte der Pfarrer kommen und das noch einmal sehen", war der Kommentar einer alten Rödgenerin, die wie viele andere gestern am Tag der offenen Tür das zum Entbindungsheim restaurierte umgebaute Pfarrhaus besichtigte. "Haus Borngarten" soll die neue Bleibe für werdende und gewordene Mütter heißen, und von steriler Krankenhausatmosphäre ist wirklich nicht viel zu verspüren.
Helle Zweibettzimmer mit rustikalen Kiefermöbeln, weißblaue Bäder, eine gemütliche Küche, der Aufenthaltsraum und nicht zuletzt der Brunnengarten, von dem das Haus seinen neuen Namen hat, schaffen eine eher familiäre Atmosphäre. "Die Geburt ist doch keine Krankheit! Warum sollen Frauen ihre Kinder nicht im Beisein einer Hebamme bekommen, ohne gleich ins Krankenhaus zu müssen?" das fragt sich Dorothee Heidorn, Mitbesitzerin des restaurierten Baus mitten in Rödgen und selbst Hebamme.
Das neue Entbindungsheim vereint also die Sicherheit einer Klinikgeburt mit den Vorzügen der Hausgeburt.
"Drei Frauenärzte und zwei freiberuliche Hebammen, die ständig zur Verfügung stehen, gewährleisten beste Versorgung für die Schwangeren", erklärte Dorothee Heidorn. Ihr Ziel ist es, den Frauen in der Zeit ihrer Niederkunft soviel Freiheit wie möglich zu lassen. Dabei legt sie Wert auf eine natürliche Geburtshilfe und darauf abgestimmte Ernährung. "Das Lindenblütenbad zur Entspannung gehört schon dazu."
Aber die Frau soll selbst entscheiden, wo ihre Bedürfnisse liegen. Möglichkeiten der Beschäftigung gibt es für die fünf Mütter, die untergebracht werden können, genug. Dorothee Heidorn bietet Säuglingspflegekurse und Wochenbettgymnastik an, im Nebengebäude wird konzentrative Bewegungstherapie stattfinden, Übungen, die das eigene Körpergefühl schulen. "Auch einen gemütlichen Nachmittagskaffeeklatsch wird es geben", verspricht Dorothee Heidorn.
Gestern morgen erst hat der Regierungspräsident die erforderliche Konzession überreicht und nun stand der Eröffnung, die ebenfalls gestern stattfand, nichts mehr im Wege. Die Kosten für die ambulante Geburt können mit den Krankenkassen abgerechnet werden, die Pflegesätze muß man momentan noch selbst bezahlen. Voranmeldung ist nicht notwendig, "man kann klingeln, wenn die Wehen einsetzen".
Gießener Anzeiger, 02.07.1985