»Eine Geburt ist doch etwas Schönes«

Das Entbindungsheim in Gießen-Rödgen: Modernste medizinisch-technische Ausstattung in angenehmer Atmosphäre

Gießen (vm). In den letzten Wochen erreichten die Redaktion mehrfach Leserbriefe, die sich mit dem Pro und Kontra einer Geburt in einem privaten Entbindungsheim auseinandersetzten. Ausgangspunkt für diese Meinungsäußerungen bot die Frage, inwiefern die Sicherheit für Mutter und Kind an derartigen Einrichtungen in jedem Fall gewährt werden kann, ob und wie schnell im Notfall die Verlegung in eine Spezialklinik möglich ist und ob die medizinisch-technischen Anlagen den Anforderungen an eine optimale geburtshilfliche Versorgung Genüge leisten. Der geschäftsführende Direktor des Zentrums für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Professor Dr. Wolfgang Künzel, hatte sich zuvor zwar nicht grundsätzlich gegen Entbindungen in privaten Heimen geäußert, auf der anderen Seite als »Minimalversorgung« für Mutter und Kind einen Arzt, eine Hebamme sowie das Vorhandensein moderner Spezialgeräte wie beispielsweise eines Herzton-Wehenschreibers (Cardiotocograph, CTG) gefordert. Bei einem Besuch im Entbindungsheim des Ehepaars Heidorn in Rödgen ließ sich die AZ jetzt die Anlage und die medizinisch-technische Ausstattung dieses Hauses zeigen.

Wie Wolfdieter Heidorn berichtete, ist seine Frau eine erfahrene Hebamme, die nicht nur auf eine mehrjährige und äußerst profunde Ausbildung (auch in Kinderkrankenpflege) und sieben Jahre freiberufliche Tätigkeit, sondern auch auf ihre mehrjährige Arbeit als leitende Lehrhebamme an der Gießener Hebammenschule zurückblicken könne. Gerade bei dieser Tätigkeit habe sie jedoch auch erfahren müssen, daß die Ausbildung der jungen Hebammen heute »längst nicht mehr so umfassend ist« wie noch in früheren Jahren; die »weise Frau« werde nicht selten zur Arzthelferin degradiert, die zwar die geburtsvorbereitenden Maßnahmen durchführen dürfe, bei der eigentlichen Geburt jedoch kaum gefragt sei.
»Was die >Mitfrau< von jeher ausgezeichnet hat, die menschliche Zuwendung, die persönliche Beziehung zur Gebärenden sowie das Einfühlungsvermögen, das nur von Frau zu Frau vermittelt werden kann, stehen in dem riesigen Kliniksapparat nicht mehr im Vordergrund. Auf der anderen Seite beweist aber die stetig zunehmende Anzahl der Hausgeburten, daß die angehenden Mütter mit diesen Zuständen nicht einverstanden sind«, urteilte Heidorn. Nach Ansicht seiner Frau benötigen auch die Ärzte langjährige Erfahrungen, bis sie sich über die reine schulmedizinische Ausbildung hinaus in die seelische Situation einer Gebärenden hineinversetzen könnten.
Das bedeutet jedoch nicht, daß ein Arzt - egal ob männlich oder weiblich - im Rödgener Entbindungsheim nicht gern gesehen ist. Die betreuenden Frauenärzte können auf Wunsch bei der Entbindung dabeisein oder jederzeit hinzugezogen werden. Ferner steht Dorothee Heidorn in enger Zusammenarbeit mit drei Gynäkologen, die im Notfall sofort Hilfe leisten können. »Ein derartiger Fall ist aber noch nie eingetreten«, erläuterte die Hebamme. Auch stehe sie mit anderen erfahrenen Hebammen in Verbindung;. Kolleginnen mit Frauen, die ihr Kind gern in einem privaten Entbindungsheim zur WeIt bringen möchten, finden in Rödgen stets eine offene Tür: »Ich hätte etwas Vergleichbares gern auch für die Gießener Universitätsklinik eingeführt, stieß bei den Verantwortlichen jedoch auf wenig Zustimmung.«
Die medizinisch-technische Ausstattung ihres Entbindungsheims entspricht durchaus den Ansprüchen an eine optimale Geburtshilfe: vom Herztonwehenschreiber (CTG) der neuesten Prägung bis zur Infusionspumpe für Einleitungen, einer Vakuumeinrichtung, um die Geburt per Saugglocke beenden zu können, sowie Reanimationseinheiten für Mutter und Kind (Wärmebett, Sauerstoffversorgung, Absaugvorrichtung und Wärmelampe) sind die modernsten Gerätschaften vorhanden. Ein kleines Labor mit Photometer für Blutuntersuchungen und ein Heißluftsterilisator gehören ebenfalls zur Einrichtung; sie werden ergänzt durch Vorrichtungen wie ein Astrup-Gerät zur Blutgaswertbestimmung beim Neugeborenen oder auch eine Phototherapielampe, mit der eine Neugeborenengelbsucht behandelt werden kann. Insgesamt investierte das Ehepaar Heidorn nach eigenen Angaben etwa 70 000 DM für die technische Ausstattung ihres Entbindungsheimes.
Trotz allem gelingt es der Hebamme, den Frauen das Gefühl zu vermitteln, daß eine Geburt etwas Schönes und Natürliches, keinesfalls aber eine Krankheit ist. »In der Klinik wird eine Schwangere bis zur Geburt ihres Kindes von mehreren Ärzten und verschiedenen Hebamnen betreut«, erklärte Dorothee Heidorn. In Rödgen dagegen wird die Frau von der Geburtsvorbereitung über die Geburt bis ins Wochenbett von einer einzigen Hebamme versorgt.
Schwangerschaften vor der 36. Schwangerschaftswoche, Frauen mit Bluthochdruck oder Risikoschwangerschaften werden in Rödgen allerdings nicht angenommen. Im Falle einer Notsituation besteht die Möglichkeit, entweder sofort einen Arzt hinzuzurufen oder aber die Schwangere in ein Krankenhaus ihrer Wahl zu verlegen; der Transport dauert maximal etwa 20 Minuten - so lange braucht man nach Angaben von Dorothee Heidom in etwa auch, um alle Vorbereitungen für eine Operation vorzunehmen. Treten beim Neugeborenen irgendwelche Schwierigkeiten auf, so ist die Hebamme zunächst einmal für eine Erstversorgung ausgestattet; ansonsten kann - wie auch an anderen Krankenhäusern - die Verlegung in die Universitätskinderklinik erfolgen.



Giessener Allgemeine, 31.08.1985