»Kaiserschnitt muß jederzeit möglich sein« Direktor der Universitätsfrauenklinik: Trotz Vorauswahl der Problemfälle bleibt »Restrisiko« von 17 Prozent Gießen (if). Er fühle sich verpflichtet, auf die Probleme hinzuweisen, die bei einer Hausentbindung oder bei der Entbindung in Einrichtungen entstehen, die nicht alle Voraussetzungen für eine optimale Betreuung der Gebärenden verfügen. Dies erklärte am Vorabend des Weltkongresses für Geburtshilfe und Gynäkologie, der kommenden Montag in Berlin beginnt, Professor Dr. med. Wolfgang Künzel, der Geschäftsführende Direktor der Gießener Universitätsfrauenklinik. Künzel, Vorsitzender der Perinatalen Arbeitsgemeinschaft in der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen: Es gehöre zur optimalen Betreuung, jederzeit innerhalb kurzer Zeit einen Kaiserschnitt durchführen zu können. Er selbst wird in Berlin über ein Spezialthema in Zusammenhang mit Kaiserschnitt-Entbindungen referieren. Eine jüngste Untersuchung in Bayern habe gezeigt, daß trotz konsequenter Aussonderung von problematischen Fällen ein Restrisiko von 17 Prozent bleibe. In diesen Fällen könnten nur rasch eingeleitete Entbindungsverfahren - Vacuumextraktion, Zangenentbindung oder Kaiserschnitt - hilfreich sein. Professor Künzel: »Die Entbindung durch Kaiserschnitt ist in der Regel notwendig, wenn eine stärkere Blutung während der Geburt auftritt oder die Nabelschnur vorfällt. Ist ärztliche Hilfe innerhalb von zehn bis 15 Minuten nicht zu realisieren, werden die Kinder entweder mit den Zeichen eines schweren Sauerstoffmangels geboren oder sterben intrauterin ab.« Trotz ausreichender Überwachung während der Geburt könne sich unter Umständen ein Sauerstoffmangel entwickeln, der das Kind zeitlebens schädige. Er, so der Gießener Gynäkologe, stelle sich aber die Frage, weshalb manche Frauen gewillt seien, bewußt die Risiken einer Entbindung in häuslicher Umgebung einzugehen, wo die Gefahr bestehe, daß ärztliche Hilfe nicht oder zu spät komme. Nach seiner Auffassung würde eine solche Einstellung bedeuten, den gesamten medizinischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte bewußt zu negieren. Im Hinblick auf das Eröffnungsreferat des Weltkongresses, das den Meilensteinen der Geburtshilfe gewidmet ist, erinnert Professor Künzel daran, daß noch um die Jahrhundertwende die kindliche Sterblichkeit und die Sterblichkeit vor und während der Geburt sehr hoch waren. Eine entscheidende Senkung der kindlichen Sterblichkeit habe erst parallel zum medizinischen Fortschritt mit der Verlagerung der Geburtshilfe aus dem häuslichen Bereich in die Krankenanstalten erreicht werden können. »Durch die konsequente Anwendung von Methoden zur Überwachung des Kindes ist eine weitere Senkung der perinatalen Mortalität in den letzten zehn his fünfzehn Jahren erreicht worden.« Maßgebend für diesen Erfolg waren neben der Konzentration der Geburtshilfe in den Kliniken die konsequente Überwachung des Kindes während der Geburt, die Entwicklung moderner Therapieverfahren zur Behandlung von Frühgeborenen sowie die frühzeitige Erkennung und Behandlung von Risikofaktoren während der Schwangerschaft. Zum Welt-Gynäkologenkongreß nimmt Professor Künzel eine erfreuliche Gewißheit nach Berlin mit: Die Geburtenzahlen in der Universitätsfrauenklinik zeigen wieder steigende Tendenz. »Regelmäßige Befragungen unserer Patientinnen ergeben ein hohes Maß von Zufriedenheit über die ärztliche und pflegerische Betreuung«. Giessener Allgemeine, 14.09.1985