1990 ist Protestjahr der Hebammen - auch in Gießen

Gießen (vm). Mit einem Informationsstand am Samstag in der Plockstraße wollen Hebammen, Hebammenschülerinnen und Vertreterinnen der Hebammenschule in Gießen, Vertreter des Entbindungsheims Rödgen sowie Mitglieder des Vereins Bewußte Geburt und EIternschaft ihren Protest gegen bestehende Personalengpässe und die schlechte Entlohnung sowohl der festangestellten Hebammen an Krankenhäusern und Kliniken als auch der freiberuflichen Hebammen zum Ausdruck bringen. Außerdem sollen Unterschriften gesammelt werden. Nach Darstellung von Sabine Hain von der HebammenlehranstaIt am Uni-Klinikum als Handhabe, um die Deutsche Krankenhausgesellschaft zu einer Anhebung der noch von 1969 herrührenden und den heutigen Verhältnissen nicht mehr angemessenen Anhaltszahlen zu bewegen. Ebenfalls am Stand anwesend sein wird der Justitiar des Deutschen Hebammenverbandes, Prof. Harald Hoschitz (Ludwigsburg).
Jüngste Umfrageergebnisse bei Hebammen und von Chefärzten geburtshilflicher Abteilungen hätten ergeben, daß bei einer Geburtenzahl im Jahr 1988 von etwa 650 000 Geburten ungefähr die Hälfte, nämlich 317 863 Kinder, in Kreißsälen geboren wurden, die nicht ausreichend mit Hebammen besetzt waren. Teilweise mußten mehrere Frauen von einer Hebamme betreut werden, woraus unter Umständen lebensbedrohliche Situationen für die Gebärende und auch das Kind erwachsen könnten. Allgemein seien die angestellten Hebammen erheblich überlastet (40 Überstunden pro Woche sind keine Seltenheit), könnten Aufgaben, die eigentlich auch zur Schwangerenbetreuung gehören - Vor- und Nachsorge der Frauen, Wochenbettbetreuung - praktiscn nicht mehr wahrnehmen.
Bei den Manteltarifverhandlungen im vergangenen Jahr sei der verantwortungsvollen Aufgabe der Hebammen wiederum nicht Rechnung getragen worden; statt wie bei den Krankenschwestern eine Verbesserung, sei eine Schlechterstellung der - durch ihre spezielle Ausbildung mit Zusatzausbildung höher qualifizierten - Hebammen erfolgt. Und auch die freiberuflichen Hebammen seien durch die nach wie vor nicht erfolgte Anpasssung der Hebammen-Gebührenverordnung von schweren Existenzsorgen geplagt.



Giessener Allgemeine, 1990