"Auch ein Säugling wirkt aktiv auf die Umwelt ein"
Vortrag über den Weg vom fantasierten zum realen Kind
Gießen-Rödgen (V). Großes Interesse, insbesondere von jungen Leuten fand der Vortrag "Vom fantasierten zum realen Kind", den die Ärztin und Psychotherapeutin Dr. med. Friederike Möhring aus Heuchelheim hielt. Zu dieser Veranstaltung hatte der Gießener Verein "Bewußte Geburt und Elternschaft" in Zusammenarbeit mit der Frauenbeauftragten Ursula Passarge ins Bürgerhaus Rödgen eingeladen.
Die Bedeutung unbewußter und bewußter Fantasien der Eltern für die Entwicklung des realen Kindes stellte die Referentin eingangs dar. So könnten Vorerwartungen der Eltern an das werdende Kind die Wahrnehmung für Signale, die bereits das Neugeborene in die sich entwickelnde Beziehung einbringt, die Wechselbeziehung zwischen Eltern und Kind beeinträchtigen. Frau Möhring verweist auf neuere Untersuchungen, die belegen, daß bereits der wenige Tage alte Säugling aktiv und kompetent auf seine Umwelt einwirkt. Sichtbar werde dies zum Beispiel bei der ablehnenden Reaktion des Kindes auf Reizüberflutung von außen. Es wende zum Beispiel den Kopf weg, beginne möglicherweise zu schreien oder ihnen angemessen zu antworten als positive Bestätigung zur Vermeidung von Irritationen. Am Ende ihres Vortrages ermunterte Frau Dr. Möhring Eltern ihren spontanen Regungen zu vertrauen sowie gesellschaftlichen, verinnerlichten Erwartungen hinsichtlich des Rollenverhaltens an Eltern durch Miteinandersprechen, kritisch zu überprüfen. So könnten die Bereitschaft und Fähigkeit wachsen, dem realen Kind angemessen zu begegnen.
Gießener Anzeiger, 09.11.1990, S. 29