Ein Baby kommt: »Aus eigener Kraft gebären?«

(pb). Im Mittelalter waren es die »weisen Frauen«, die ohne ärztliches Beisein, dafür aber mit Hilfe von Kräutern, Mixturen und Sprüchen den Frauen halfen, neues Leben in die Welt zu setzen. Wie erfolgreich man mit diesen Prozeduren damals war, sei dahingestellt. Die damalige hohe Kindersterblickeit spricht für sich. Heutzutage besitzen die Hebammen glücklicherweise bessere Qualifikationen, um der werdenen Mutter beizustehen. Doch noch immer gibt es in diesem Bereich der Medizin ein Kompetenzgerangel zwischen dem Berufszweig der Hebammen und der Ärzteschaft. Der Paragraph 4 des Hebammengesetzes sieht vor: »Die Ärztin und der Arzt sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß bei einer Entbindung eine Hebamme oder ein Entbindungspfleger zugezogen wird.« Bei der Auslegung des Gesetzestextes scheiden sich allerdings die Geister.

»Schwangerschaft ist keine Krankheit, warum sollte eine Schwangere also freiwillig ins Krankenhaus gehen.« Diese Meinung vertritt Dorothee Heidorn, Lehrhebamme und Leiterin des Geburtshauses in Rödgen. Es gibt nur wenige Häuser dieser Art, denn noch immer ziehen die meisten Frauen einen Krankenhausaufenthalt vor. Nach Frau Heidorn sollte eine Frau sich rückbesinnen, immer daran denken, daß nur sie selbst aus eigener Kraft gebären kann. Allerdings muß die innere Einstellung dazu vorhanden sein. Neben der Gewißheit, eine normalverlaufende Geburt vor sich zu haben, ist dies ein weiteres Kriterium, nach dem die Patientinnen ausgesucht werden. Denn zum positiven Denken auf eine »natürliche Geburt« lassen sich nur diejenigen motivieren, die innerlich davon überzeugt sind und keinerlei Zweifel dagegen hegen.
Für viele stellt sich das Geburtshaus mit seiner ruhigen Lage, Ausstattung und Atmosphäre als eine Art »Märchenlandschaft« dar. Ruhe und Geborgenheit und vor allen Dingen wenig von der unpersönlichen technischen Medizin sind dort spürbar. Alles schön und gut, doch wie sieht es mit der Sicherheit bei anfallenden und unvorhersehbaren Schwierigkeiten aus? Eine Frage, die sich wohl jede besorgte Mutter stellen wird: Risikoschwangerschaften werden von Frau Heidorn nicht angenommen, sondern umgehend an den zuständigen Gynäkologen überwiesen. Professionelle Gerätschaften, die im Normalfall von Nöten sind, sind natürlich auch vorhanden. Doch was passiert, wenn bei der Geburt einer bis dahin risikofreien Schwangerschaft unvorhersehbare Komplikationen entstehen? Plötzlich ein Kaiserschnitt vorgenommen werden muß - immerhin werden im Durchschnitt 12% der Kinder mit Hilfe eines Kaiserschnittes zur Welt gebracht. Eine Hebamme darf diesen Schritt nicht durchführen. Oder bei der Ablösung der Nachgeburt setzen starke Blutungen ein, die, wenn nicht sotort richtig behandelt, tödlich sein können. Was passiert mit den Säuglingen, die plötzlich unter akuter Atemnot leiden oder andere lebensbedrohlich. Anzeichen zu erkennen sind? Die Hebamme ist zwar angewiesen, sofort einen Arzt sowie den Baby-Notarztwagen zu rufen, doch bis zu deren Eintreffen können für Mutter und Kind lebensentscheidende Minuten vergehen. Ist die »märchenhafte Atmosphäre« des Geburtshauses es wirklich wert, diese Risiken einzugehen? Die Vorstellung von einer reibungslosen natürlichen Geburt sind Ideale, die sicherlich vorkommen, doch darf man nie Risiken ausschließen, auch wenn die Schwangerschaft noch so gut verlaufen ist.
Gynäkologen, aber auch Hebammen sprechen sich eher gegen die Institution des Geburtshauses aus. Zwar gibt es hin und wieder Querelen zwischen Arzt und Hebamme um die Kompetenzen, joch ziehen beide Seiten eine gemeinsame Arbeit in den Krankenhäusern vor. Hausgeburten werden ohnehin nur selten vorgenommen. »Von den 1600 Geburten hatte ich nur eine Hausgeburt«, so ein anerkannter Gynäkologe. Als einen Rückschritt bezeichnet er dieses Vorgehen. Denn wozu wurde die Technik zur Verminderung der Sterblichkeit entwickelt, wenn man nun dagegen angeht und versucht, ohne sie auszukommen. Immerhin sind 20 % aller Schwangerschaften Risikoschwangerschaften. Komplikationen treten oft erst später auf, auch wenn die Geburt noch so gut verlaufen ist. Schon aus diesem Grund ist es ratsam, einen kurzen Krankenhausaufenthalt einzuplanen, mit der Gewißheit, daß sofort jemand zur Stelle ist, falls solche Notsituationen eintreten.
Ein weiterer Brennpunkt sind die Vorsorgeuntersuchungen. Sie können zwar von der Hebamme im Umfang ihrer beruflichen Befugnisse durchgeführt werden, doch muß dies vom Arzt im Einzelfall angeordnet sein. Ebenso kann er die Vorsorgeuntersuchung an sie weiter delegieren, wenn er einen reibungslosen Ablauf der Schwangerschaft festgestellt hat. Er selbst muß jedoch jederzeit bereit sein, ebenfalls notwendige Untersuchungen wie UItraschall, Hämoglobinuntersuchungen, bakteriologische Untersuchungen etc. durchzuführen.
Letztendlich bleibt die Entscheidung jedoch der werdenden Mutter vorbehalten, wo sie ihr Kind zur Welt bringen möchte, vorausgesetzt, es handelt sich nicht um eine Risikoschwangerschaft. Wer sich jedoch für alternatives Gebären entscheidet, kann sich bei dem vom 2. bis 4. April 1992 stattfindenden Kongreß »Gebären aus eigener Kraft« unter der Schirmherrschaft der Staatsministerin des Hessischen Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Iris Blaul, informieren.

Kinder zur Vorsorgeuntersuchung
Eine Vielzahl Krankheiten und Schädigungen, die sich bei kleinen Kindern erst Monate oder Jahre nach der Geburt zeigen können, sind vermeidbar. Deshalb appellieren die Betriebskrankenkassen (BKK) an alle Eltern, die von den gesetzlichen Krankenkassen finanzierten Kinder-Vorsorgeuntersuchungen U 1 bis U 9 in Anspruch zu nehmen. Diese ärztlichen Kontrollen werden für Kinder und Säuglinge von Geburt an bis zum 6. Lebensjahr durchgeführt. Die Berechtigungsscheine für die Kinder-Vorsorgeuntersuchung erhalten die Versicherten bei ihrer BKK. Der Arzt trägt die Befunde der verschiedenen Untersuchungen in ein Untersuchungsheft ein, das er der Mutter mitgibt. Je nach Entwicklungsstufe des Kindes werden bei den einzelnen Vorsorgeuntersuchungen unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt.


Sonntagmorgen Magazin, 29.03.1992