Natürliche Entbindung zu Hause: Abenteuer oder Alternative? Forderung nach mehr Transparenz und sozialer Gerechtigkeit bei der Geburtshilfe Gießen (nie). "Gebären aus eigener Kraft" war das Thema einer Tagung, zu der die Frauenbeauftragte der Stadt Gießen, Ursula Passarge, eingeladen hatte. Mütter, Ärzte und Hebammen diskutierten über sinnvolle Alternativen zur Kliniksgeburt. Ziel der Veranstaltung war es, die Öffentlichkeit über Möglichkeiten der natürlichen Geburtsvorbereitung sowie Geburtshilfe aufzuklären. "Es müssen endlich Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es den Müttern erlauben, zwischen einer Kliniksgeburt und natürlichen Alternativen zu wählen," war nur eine der Forderungen des Kongresses, "die Bedürfnisse der Frauen sind dabei stärker als bisher zu berücksichtigen". Dem schließt sich die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an, daß Eltern frei wählen können zwischen einer Klinikgeburt, ambuIanter Geburt oder Hausgeburt. Aus Angst und Mangel an Aufklärung suchen viele Frauen die hochtechnisierte Entbindung in der Klinik, obwohl es bis heute keine medizinisch begründete Prognose gibt, wann bei Geburten Schwierigkeiten auftreten. Aus der Erfahrung von Astrid Limburg, niederländische Referentin und selbst freiberufliche Hebamme, ist die "Geburt aus eigener Kraft" nur zu empfehlen. Ihr Heimatland ist das einzige in Europa, das Müttern die freie Wahl läßt zwischen einer Entbindung in der Klinik oder zu Hause. Dieses Prinzip gebe den Frauen mehr Raum für Individualität und übertrage ihnen eigene Verantwortung. Das so gewonnene Selbstvertrauen sei die optimale Voraussetzung zu einer leichteren Geburt. Statistisch nachweisen läßt sich zudem, daß Hausgeburten sicherer sind als Entbindungen im Krankenhaus. Dr. Gerd Eldering, Leiter der gynäkologischen Abteilung des Vincenz-Pallotti-Hospitals in Bensberg, bestätigte diese Aussage: in Nordrhein-Westfalen müssen über dreizehn Prozent der in der Klinik Neugeborenen zur Beobachtung oder Behandlung im Krankenhaus bleiben. Diese Zahl zeuge von der enormen Belastung der "unnatürlichen Entbindung" fur Kinder. Statt eines "Urlaubs im Krankenhaus" sollte die junge Familie Unterstützung zu Hause haben, z. B. durch eine Haushaltshilfe oder Wochenbettpflegerin. Zu kritisieren bleibt in diesem Zusammenhang die Gebührenordnung, die eine selbständige Existenz als niedergelassene Hebamme nicht ermöglicht. Die Wahlmöglichkeit der Schwangeren wird nicht zuletzt dadurch unerträglich eingeschränkt, daß die gesetzlichen Krankenkassen die Aufenthaltskosten in einem Entbindungshaus nicht übernehmen, unnötige und wesentlich teurere KliniksaufenthaIte jedoch bezahlt werden. Gießener Anzeiger, 04.04.1992