"Denn das Leben braucht einen guten Anfang" Gießener Hebamme will gemeinsam mit ihren Kolleginnen in ganz Deutschland ihren Berufins rechte Licht rücken GIESSEN (jm). "Hebammen machen Ihre Krankenkasse zur Sparkasse", und: "Hebammen arbeiten (mindestens) für zwei". Mit diesen beiden Sprüchen und sieben weiteren, die sich durch ebenso origineIle Wortspiele auszeichnen und auf Plakaten prangen, macht der Arbeitskreis für außerklinische Geburtshile in Gießen auf die Bedeutung eines Berufsstandes aufmerksam. Kugelschreiber, Aufkleber, Notizblöcke und die neunteilige Plakatserie, die alle den Slogan "Hebammen. Denn das Leben braucht einen guten Anfang" aufgedruckt tragen, verschickt der Arbeitskreis auf Anfrage bundesweit. Die Idee dazu stammt von Dorothea Heidorn, die, selbst Hebamme, seit acht Jahren in Rödgen ein Entbindungshaus betreibt. Gegen "überkommene Vorstellungen" von Schwangerschaft und vom Hebammenberuf will sie angehen. Zielpunkt ihrer Kritik ist die übliche Praxis. daß Schwangere in Krankenhäusern entbinden. Jedoch sei Schwangerschaft keine Krankheit, und Ärzte dürfen nicht, wie die 46jährige es formuliert, "Alleinherrscher über Frauen" sein. Die wenigsten Zeitgenossen wüßten, daß Hebammen eine gesunde Geburt alleine leiten dürfen. Sie hält es für falsch, daß "die Krankenkassen die Schwangeren in die Kliniken schicken", wo diese auch zu Hause oder ambulant entbinden könnten. "Im Jahre 1 nach Seehofer" sei es ein Unding, daß die Krankenhäuser "Geld machen" mit Geburten. "Krankenhäuser sind zu teure und zu gefahrliche Hotels für frisch Entbundene", faßt Dorothea Heidorn ihre Kritik zusammen. Sie räumt aber ein, daß Entbindungen in Kliniken ihre Berechtigung haben, und sie ist "auch nicht gegen die Krankenkassen". Sie wiII mit der von ihr initiierten Aktion schlicht ihre "Energie für die Hebammen einsetzen". Zumindest die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) in Gießen beurteilt die Frage nach dem Ort der Entbindung etwas anders: "Das hat jede werdende Mutter zu entscheiden, wo sie entbinden will", sagt Ulrich Harnisch, Vorstands-Vorsitzender der AOK Gießen. Er hält den gegenwärtigen Trend von Krankenhausgeburten für verständlich, denn im Falle von Komplikationen sei es besser, wenn ein Arzt sofort zur Verfügung steht. Daß Entbindungen außerhalb des Krankenhauses billiger sind, weiß Harnisch auch. Aber die Kostenersparnis sei "nur eine von mehreren Komponenten", die schwangere Frauen in ihre Überlegungen einbezögen. Was das Ansehen des Hebammenberufs betrifft, so ist das AOK-Oberhaupt von dessen gutem Ruf überzeugt: "Ich halte das Image der Hebammen nicht für schlecht." Gießener Anzeiger, 15.04.1993, S. 22