"Wie ich geboren werde, so lebe ich"
Letzte "An-Sprache" machte Mut zum "Abenteuer Familie"
GIESSEN (kon). Die Schwangerschaft nicht als Krankheit, die Geburt nicht als bloßen medizinischen Vorgang und Familie nicht als Karrierehindernis sehen - das war die Botschaft des letzten Abends der "An-Sprachen" in der Petruskirche. Dorothea Heidom, Hebamme und Leiterin des Geburtshauses in Rödgen, machte sich dabei ihre Gedanken über die Seligpreisungen im fünften Matthäus-Evangelium.
"Wie ich geboren werde, so lebe ich. Und so wie ich lebe, so sterbe ich", drückte Dorothea Heidorn ihr persönliches Motto aus. Der Zusammenhang zwischen Geburt und späterem Leben sei nachweisbar. Erschreckend sei, wie viele Mütter bei dem sogenannten "freudigen Ereignis" weinen müßten und sich oftmals in einem "Mutterschafts-Ghetto" fühlten. "Vater Staat ist in Europa Spitze in der Nichtversorgung junger Mütter und Kinder", beklagte Heidorn. Die Hebamme machte Mut, nicht nur alle folgenden Geburtstage, sondern auch ein "Fest der Geburt" zu feiern und den neuen Menschen würdevoll willkommen zu heißen.
Um dieser "spirituellen Tiefe" des Ereignisses gerecht zu werden, habe sie 1985 das Geburtshaus gegründet, erzählte die Hebamme. Statt auf die eigenen Kräfte zu vertrauen, scheitere das "Abenteuer Familie" viel zu oft, bevor es richtig begonnen habe, kritisierte Heidorn.
"Not-Wendiges" war der Titel des letzten "An-Sprachen"-Abends, und so gab Dorothea Heidorn auch einige Tips, wie man die Not wenden könne, In ihrem persönlichen "Vor-Wut-Koch-Rezept" empfahl die Hebamme: Das eigene Leid erkennen und zugestehen, sich keine Selbstvorwürfe zu machen, schädliche Handlungen zu reduzieren versuchen und stattdessen sich etwas zu gönnen, was einem gut tue. "Geduld sollte wieder modern werden. Man kann sich heutzutage nichts Schöneres schenken als Zeit", sagte Heidorn. Ihr liebster Vers aus den Seligpreisungen sei deshalb auch "Selig sind die Leidtragenden, denn sie sollen getröstet werden." Wer daraus Vertrauen schöpfe, könne auch Syssiphos-Arbeit als gutes Krafttraining fürs Leben nutzen.
Wie die Abende zuvor schloß auch die letzte Veranstaltung der Reihe "GottesWort in MenschenOhr", in der Katholisches Bildungswerk und Evangelische Erwachsenenbildung Personen aus der Öffentlichkeit über gleichermaßen bekannte und provokante BibeItexte hatten reden lassen, mit einem Austausch darüber, was diese "An-Sprache" bei den einzelnen Besuchern angesprochen hatte.
Gießener Anzeiger, 10.07.1998, S. 14