Mit dem »Millenniumsbaby« wird's wohl in vielen Fällen nichts!

Keine Zunahme der Geburten in den Kliniken und Geburtshäusern

Gießen (wa). Dass es sogar Frauenkliniken gibt, die pünktlich um Mitternacht des 1. Januars einen Kaiserschnitt durchführen, um das erste »Millenniumsbaby« auf die Welt zu bringen, gehört leider nicht ins Reich der Fabeln. Prof. Wolfgang Künzel, Leiter der Frauenklinik des Uni-Klinikums, bezeichnet diese Vorgänge, von denen er auch schon gehört habe, als »verwerfIich«. Ein solcher Eingriff könne sogar das Leben der Mutter gefährden.

Wird es die oft angekündigten, zahlreichen »Millenniumsbabys« auch in Gießen geben? Im April des Jahres hatten vor allem Boulevardmagazine und Zeitungen dazu aufgerufen, die ersten Kinder des neuen Jarurtausends zu zeugen. Ob solche Aufrufe aber von »Erfolg« gekrönt waren, wird sich jetzt zeigen. Nachfragen bei den Gießener Krankenhäusern und Entbindungsstationen lassen zumindest Skepsis zu. Anhand der Geburtsvorbereitungskurse oder Zahl der Voranmeldungen könne man keinen auffälligen Anstieg beobachten, erklärte Künzel.

Saisonale Häufungen
Natürlich gebe es in jedem Jahr saisonale Häufungen und »biologische Variationen«, so Künzel, aber den verstärkten Wunsch nach eInem »Millenniumsbaby« könne man daran nicht ausmachen. Nichtsdestotrotz hat Prof. Künzel angesichts des nahenden Jahreswechsels auch »Erwartungen und Befürchtungen«, schließlich gebe es keine exakten Daten.
Werner Soßna, Verwaltungsdirektor des Uni-Klinikums, ergänzte im Gespräch, dass das gesamte Klinikum auf die Jahreswende vorbereitet sei. Man habe »Hotlines« eingerichtet und sei auch im Fall eines Stromausfalls fähig zu reagieren. »Im Notfall sind wir praktisch autark.«

Hintergrunddienst im Ev. Krankenhaus
Ähnliche Vorbereitungen sind auch im Evangelischen Krankenhaus in Gießen getroffen worden. Verwaltungsleiter Helmut Müller kündigte im Gespräch sogar einen zusätzlichen »Hintergrunddienst« für den 1. Januar an, der die vor Ort tätigen Rufbereitschaftsdienste unterstÜtzen soll. Konkret gesprochen: Exakt um 0 Uhr werden acht bis zehn Pflegerinnen und Pfleger, sowie Ärztinnen und Ärzte in allen Stationen vorbeischauen und die Lage kontrollieren. Sollten sie nicht gebraucht werden, fahren sie sofort wieder nach Hause. Hintergrund der seltsamen Maßnahme: Die Leitung des Krankenhauses befürchtet, dass um Mitternacht alle Telefonleitungen überlastet sind und im Notfall keine zusätzlichen Kräfte zu erreichen wären.
Die unvermeidliche Frage nach den »Millenniumsbabys« konnte Müller nur lachend verneinen. Vor wenigen Tagen habe er sich noch einmal mit Gynäkologen und Hebammen im Haus unterhalten: Es zeichneten sich nicht ungewöhnlich viele Geburten für den 1. Januar ab.

Mehr Geburten im Dezember registriert
Eine seltene »positive« Meldung vernahmen wir aus dem Mund von Harro Masuhr, Pflegedienstleiter im St-Josefs-Krankenhaus in Gießen. Viele Belegärzte berichteten in der Tat für den gesamten Dezember von ungewöhnlich vielen Entbindungen. »Vielleicht liegt das aber auch daran, dass unser neuer Kreissaal besonders beliebt ist«, entkräftete Masuhr unsere Hoffungen nach dem Millenniumsbaby. Immerhin: Gerade für den Kreissaal des Krankenhauses ist während der Silvesternacht eine erhöhte Bereitschaft vorgesehen. Überhaupt nichts wissen von dem Rummel um die »MilIenniumsbabys« will die Hebamme Dorothea Heidorn, Leiterin des Entbindungsheims in Gießen-Rödgen. »WIr lassen uns von diesem Unsinn doch nicht verrückt machen!« Irgendwelche Leute hätten sich durch die Berichterstattung in den Medien aufputschen lassen.

30 Jahre Berufserfahrung
Wer sich aber zu einer Geburt in ihrem Entbindungsheim entschließe, gehöre zu den» Vernünftigen« und bleibe hiervon unbeeindruckt, bekräftigte Frau Heidorn, die auf eine stattliche »Berufsbilanz« zurückblickt: In 30 Jahren Berufserfahrung habe sie mitgeholfen, über 9.000 Kinder auf die Welt zu bringen. Da lasse sie sich auch von Ärzten nichts mehr vormachen: »Die haben noch nie ein Kind auf die Welt gebracht.«


Sonntagmorgen Magazin, 26.12.1999, S. 2A